Klippenspringer haben die grandiose Alpenlandschaft am Sylvenstein südlich von Bad Tölz entdeckt. Dort stürzen sie sich von der Auto-Brücke rund 20 Meter in den grünen Isarsee. Einer der Pioniere ist der Münchner Thomas Wunderlich, genannt „senddictet“.
Interview: Sven F. Goergens
Fotos: Thomas Wunderlich
Tiefer Fall mit weiter Reichweite
Wie bist Du zum Springen gekommen?
Durch meinen besten Freund, der mich 2016 zu den Buchenegger Wasserfällen im Allgäu mitnahm.
Wo liegt die Faszination?
Am Klippenspringen reizt mich keineswegs hauptsächlich der Nervenkitzel. Und lebensmüde bin ich schon gar nicht. Es geht um mehr: neue Sprung-Figuren lernen, die Nervosität zuvor und die unbeschreiblichen positiven Emotionen nach einem erfolgreichen Sprung.
Was gefällt Dir besonders am Sylvensteinspeichersee?
Die Brücke am Sylvenstein zählt zu meinen Lieblingsspots. Brücken sind immer sehr gut geeignet fürs Springen, da keine Distanz nach vorne überwunden werden muss, um im Wasser zu landen. Außerdem ist das Geländer dort schön breit für einen recht guten Absprung. Und die alpine Kulisse ist atemberaubend für Video-Drehs. Unten im ruhigen Wasser gibt es keine Strömung, ohne viel Laufen oder Schwimmen bin ich schnell wieder auf der Brücke. Zurück nach München ist es nur eine Stunde Fahrt. Meistens springen wir am Sylvensteinspeicher in einer Fünfer-Gruppe. Wir sind ein eingespieltes Team und können uns aufeinander verlassen, jeder weiß, wann er was zu tun hat. Der Sport wird aber aktuell noch deutlich mehr von Jungs als von Mädchen ausgeübt.
Wie tief geht es hinunter?
Die Brückenhöhe zusätzlich Geländer liegt bei 16 bis 20 Meter Höhe. Je nachdem, welchen Pegel der künstliche Speichersee gerade führt. Natürlich prüfen wir vor dem Sprung die Wassertiefe. Beim Sylvensteinspeicher sind wir noch nie so tief getaucht, dass wir den Boden berühren konnten. Eine Wassertiefe von vier Meter reicht normalerweise aus.
Wie lange seid ihr in der Luft?
Ich würde die Flugzeit auf ca. zwei bis zweieinhalb Sekunden schätzen, auch wenn es sich nach einer halben Ewigkeit anfühlt. In diesem Zeitraum sind fast alle Variationen von Salti und Schrauben machbar. Mein wahrscheinlich schwierigster Sprung am Sylvensteinspeicher war ein sogenannter Delphin Tsukahara und ein dreifacher Rückwärtssalto. Auch Sprünge mit Anlauf übers Geländer sind möglich.
Ist das etwas für tollkühne Nachahmer?
Nein, bitte nicht. Selbstüberschätzung, fehlendes Training, Erfahrung und mangelhafte Sicherheitsvorkehrungen gehören zu den Hauptgefahren. Höhere Sprünge sollten grundsätzlich nur nach ausreichender Übung in Trampolinhallen oder Schwimmbädern versucht werden. Neben der Prüfung der Wassertiefe sollte auch immer ein Sicherheitsschwimmer im Wasser sein, der im Notfall eingreifen kann und den Springer aus dem Wasser ziehen kann. Klippenspringen ist ein Extremsport, der selbstverständlich mit Risiken verbunden ist. Geplatzte Lungenbläschen, Verletzungen an Knien oder Hüfte können auftreten.
Habt Ihr oft Zuschauer?
Ja, gerade am Sylvensteinspeicher! Es freut uns, wenn sie uns ansprechen und über den Sport mit uns reden möchten. Auch die Polizei sah uns schon einige Mal wohlwollend zu.
Wo springen Ihr sonst noch?
Oft in Österreich, in der Schweiz, Italien, Kroatien und Spanien. Aber auch in ganz Deutschland gibt es gute Spots.
Kann man mit Klippenspringen Geld verdienen?
Sobald man in den sozialen Netzwerken eine große Reichweite aufgebaut hat, lässt sich damit selbstverständlich auch ein paar Euros verdienen. Zu meinen Kunden auf TikTok gehören u.a. Samsung, Puma und Hyundai. Mein erfolgreichstes Video stammt vom Sylvensteinspeicher und generierte über 70 Millionen Aufrufe. Das Finanzielle ist ein schöner Nebeneffekt, aber auf keinen Fall der Grund, warum ich diesen Sport so liebe.
Hoch hinaus, tief hinab
Thomas Wunderlich, auch bekannt als „senddicted“ wurde 1997 in München geboren, wo er auch aufwuchs. Er ist Geschäftsführer mit abgeschlossenem BWL-Bachelor-Studium bei goodgrade.de, einem Unternehmen, das professionelle Einzelnachhilfe mit ausgebildeten Lehrkräften für Schülerinnen und Schüler anbietet. Das Natur- und Freiheitserlebnis beim Sprung sind sein persönlicher Ausgleich zum stressigen Alltag. Mehr Infos zur Person: senddictet auf Instagram und TikTok.