Natur-Coach Sven F. Goergens hört überall Tierstimmen. Dabei wohnt er nicht in der Wildnis, sondern in einer deutschen Großstadt.
Manchmal kommt es mir vor, als lebte ich in einem Zoo. Wenn es abends Zeit wird, meinen Sohn mit einer kleinen Geschichte aufs Traumland vorzubereiten (meistens entschlummert der vorlesende Papa dabei auch gleich), ist das Letzte was wir beide vor dem Einschlafen hören, das entfernte Schnarren eines Krokodils.
Und wenn morgens die Sonne durchs Fenster lacht, weckt uns das Tröten eines unternehmungslustigen Elefanten. Die Dschungellaute erzeugt eine batteriegetriebene Uhr, die jede volle Stunde mit einem exotischen Tierruf begrüßt.
Das technische Wunderding (ein gutgemeintes Geschenk eines Onkels) ist mit einem Lichtsensor ausgestattet, der je nach Helligkeitsgrad diverse Dickhäuter, Reptilien oder Huftiere leise oder lauter durch die Wohnung schnauben lässt.Längst habe ich meinen Tages- und Arbeitsrhythmus der afrikanischen Großfauna angepasst. Pünktlich mit dem Löwengebrüll um zwölf Uhr mittags beginne ich mit der Bearbeitung meiner E-Mails. Eine Stunde später, wenn vom Kinderzimmer das langgezogene Grunzen des Gorillas durch die sonst stillen Räume dröhnt, mache ich mich ans Texten.
Nashorn, Kamel und Zebra (das sind die Frühnachmittags-Tiere) dringen trotz ihrer Anstrengungen nur sehr gedämpft in mein Bewusstsein. Erst wenn um 16.00 Uhr das Zebra wiehert, ist es Zeit, die kreative Selbstausbeutung vorm Bildschirm zu unterbrechen und fürs Abendessen einzukaufen. Allerdings gibt es bei uns zu Hause auch Tiere, die ihre Lebensäußerungen weniger regelmäßig und vorhersehbar verteilen.
Seit meine Tochter als Handy-Klingelton das fröhliche Schnattern eines Tümmlers programmierte, meldet sich der Meeressäuger je nach Telefonierlaune der anrufenden Freundinnen. Da ist es kein Wunder, dass ich aus dem digitalen Tierkonzert der eigenen vier Wände gerne mal in die Stille der Isar-Auwälder flüchte.
Umso mehr fahre ich zusammen, als ich aus Ufernähe ein schauriges Heulen vernehme. Ein verletzter Hund? Oder gar ein zugewanderter Wolf? Oder ein angeschossener Problem-Bär? Vorsichtig schiebe ich die Zweige auseinander und spähe in Richtung der Grusellaute: Da hockt ein junges Mädchen und plappert ins I-Phone. Und das Wolfsgeheul? Das war glücklicherweise nur der Klingelton.